Beziehungen und Freundschaften bei „Ich bin O.K.“

Angelika Hager über die Beziehung von Clara Horvath und Mike Brozek.
Clara Horvath und Mike Brozek

Immer noch Liebe

Angelika Hager über die Beziehung von Clara Horvath und Mike Brozek.


Zusammen wohnen? „Nein, wirklich, nicht!” antwortet Clara entschieden und fügt versöhnlich hinzu: „Ich liebe mein Schatzi, aber ich brauche meine Zeit für Mädchensachen so wie Nägelmachen.” Mike nimmt die Autonomiebestrebungen seiner Frau gezwungenermaßen ernst, er schüttelt den Kopf und erklärt so trocken wie liebevoll: „Manchmal ist sie doch etwas tussihaft.” Diese Bemerkung lacht Clara weg. Einander besuchen zu können sei doch so schön, man müsse doch gar nicht dauernd miteinander sein. Diese Art von Geplänkel dürfte Teil der Beziehungschoreographie zwischen den beiden sein.

Wir sitzen im Büroraum des Vereins Ich bin O.K., einer Institution, die mittlerweile in der Community nicht nur ein Ort ist, wo Kinder und junge Menschen mit dem Down-Syndrom und anderen Behinderungen Freude daran finden, sich mit ihrem Körper auszudrücken und Bewegung in ihrem Leben zu einer Selbstverständlichkeit werden zu lassen. In diesen Räumen wurden auch viele Freundschaften geschlossen, hier tauscht man sich aus, hier können auch Eltern einander mit Rat und Tat zur Seite stehen, und ja, natürlich entstehen und entstanden hier auch jede Menge Liebesbeziehungen. Neben Mike und Clara sitzen auch drei Burschen in der Teeküche, die eben mit vier Studenten eine neue Wohngemeinschaft bezogen haben und diesem Abenteuer mit den entsprechenden Erwartungen entgegen sehen.

„Selber machen” und „was alleine können” sind Satz-Bauteile, die alle drei im Gespräch über ihre Beweggründe für so ein Projekt oft benutzen und die gleichzeitig viel über die große Bedeutung erzählen, die Autonomie und Selbstständigkeit für das Selbstwertgefühl dieser jungen Menschen haben.

Auch Mike und Clara haben sich in dem Kulturverein kennen gelernt. Beide sind begeisterte Steptänzer, beherrschen aber auch anderen Bewegungsvariationen wie Hip-Hop-Tanz, Modern Dance und „so Yogasachen”; das Angebots-Spektrum bei Ich bin O.K. ist vielfältig.

Mike wirkt sehr ambitioniert; er kann stolz eine ganze Latte an Hobbies vorweisen, zusätzlich besucht er einen Englischkurs. „Das ist nichts für mich”, winkt Clara ab, sie scheint das Leben generell leichter zu nehmen und zeigt sich spielerischer.

Beide lieben Kino und Besuche im Schwimmbad. Mike wirkt ernst, konzentriert, zielstrebig. Wenn man ihn nach seiner Arbeit in der Kantine einer großen Versicherung fragt, sagt er ohne zu zögern: „Ich bin ein Mann für alle Fälle. Dort wo ich gebraucht werde, da bin ich.”

Vor Jahren haben Mike und Clara Geschichte in der Historie für Behindertenrechte geschrieben. Sie haben als erstes Paar mit Down- Syndrom in Österreich im Wiener Stephansdom den Segen erhalten; Clara war damals 21 Jahre alt, Mike 30. „Das ist die Hochzeit des Jahres”, lauteten damals die Worte des Dompfarrers Toni Faber, der schon immer wohltuend unkonventionell agierte, „der Dom ist groß, aber nicht groß genug für eure

Liebe.” Der Bräutigam trocknete seiner Lieben während des feierlichen Zeremoniells immer wieder fürsorglich die Tränen.

Die Eltern der Braut und Mikes Mutter kontaktierten damals das Nachrichtenmagazin „Profil”, um in einem sensiblen Umfeld öffentliche Aufmerksamkeit zu triggern. Denn dass Menschen, die anders sind und nie ganz selbstständig leben werden können, genauso Bedürfnisse nach emotionaler Nähe, Intimität und der Stabilität einer Zweisamkeit haben, lag damals noch in einer Grauzone der Wahrnehmung.

Die Qualität einer Gesellschaft zeigt sich in ihrem Umgang mit den Menschen, die für die Verwirklichung ihrer Fähigkeiten Unterstützung brauchen. Da ist in Österreich noch viel zu tun. Bis heute können sich Unternehmen von der Verpflichtung, einen behinderten Menschen einzustellen, freikaufen. Um Jobs für kognitiv beeinträchtigte Menschen zu kriegen, die auch fordern und damit auch die geistige Entwicklung fördern, bedarf es noch immer Verbindungen und des Glücks des Zufalls.

Zum Hochzeitsfest ihrer Tochter hatte Eva Horvath damals einen Text verfasst, der mit den Worten schloss: „Mike und Clara wünschen sich nichts sehnlicher, als dass ihre Liebe ernst genommen und respektiert wird – wie bei anderen Paaren auch. Haben wir das Recht, ihnen das zu verwehren?”

Der mutige Schritt von damals hat sich gelohnt. Die Liebe zwischen den beiden hat bis heute keine Abnützungserscheinungen und ist ein wichtiger Animator, zu lernen, an sich zu arbeiten, Ziele zu verfolgen.

2007 durften der Fotograf Philipp Horak und ich Mike und Clara beim Leben beobachten: Wir begleiteten sie in den Steptanzkurs, wir interviewten ihre Eltern, wir waren perplex und manchmal sogar beschämt von der Direktheit und Ehrlichkeit der beiden und ihrer unverblümten Art, Zuwendung zu zeigen.

Die Reportage hieß „Liebe mag ich sehr”, ein poetisches Zitat von Clara, die damit beschreiben wollte, welche Kinogenres ihr die liebsten sind.


Aus „Ein Buch über das andere Tanzen“ von Horak/Mayr

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Der Fotograf Philipp Horak und die Grafikerin Marion Mayr sind Eltern zweier „Ich bin O.K.“-TänzerInnen und wollen mit diesem Buch den Verein feiern. Sie haben Menschen, die „Ich bin O.K.“ angehören, porträtiert und einen Rückblick auf inspirierende und bewegende Jahre geschaffen.

  • Mit vielen Fotos von Philipp Horak
  • Vorwort von Bundespräsident Alexander Van der Bellen
  • Interview mit Gründerin Katalin Zanin
  • Porträt des Vereins von Maria Dinold, Helga Neira Zugasty und Hana Zanin Pauknerová
  • Porträts der Mitglieder Mathias Mehrwald, Niklas Kern, Clara Horvath & Mike Brozek
  • Interview mit dem Tänzer, Tanzpädagogen und Choreographen Kirin España-Orozco
  • „Ich bin O.K.“-Chronologie

Erhältlich um EUR 35,– über den Verlag Hollinek (zuzüglich Versandkosten).


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