„Es hat wunderbar geklappt“
Sibylle Norden, Mutter von Niklas Kern, im Gespräch mit Sebastian Hofer.
Der Weg zum gelungenen Leben führt über Umwege. Es existiert keine Landkarte, es gibt keinen Routenplaner dafür, Google hilft auch nicht weiter. Man muss das gelungene Leben schon selber finden.
Aber manchmal findet es einen. „Es war ein totaler Zufall“, sagt Sibylle Norden über den Weg, der ihren Sohn Niklas zu Ich bin O.K. geführt hat: „Wir wohnen in Riederberg im Wienerwald, also wahrlich nicht um die Ecke. Aber mein Bruder war damals bei den Rotariern und hat mir – das ist jetzt bald 20 Jahre her – von diesem Verein erzählt, für den sie gespendet haben.“
Der Verein hieß Ich bin O.K., das Konzept klang interessant für Sibylle Norden. Sie arbeitet als Sprecherin und Redakteurin bei Ö1, sie hat einen feinen Sinn für das Gute in Gesellschaft und Kultur, und sie suchte nach etwas Gutem für Niklas. Niklas hat das Down-Syndrom.
„Für meinen Mann und mich war das damals sehr, sehr wichtig. Im Kindergarten und der Volkschule, vor allem auch später in der Hauptschule, war es Niklas unmöglich, sich einen eigenen Freundeskreis aufzubauen. Ich wollte, dass er auch Zeit mit Seinesgleichen verbringt, er sollte nicht immer nur allein bei Mama und Papa sitzen.“
Und, hat es geklappt? „Es hat wunderbar geklappt! Es hat zwar doch ein paar Jahre gedauert, aber dann hat er bei Ich bin O.K. Simon kennengelernt, der inzwischen sein bester Freund ist. Damals war er überhaupt sein erster richtiger Freund. Simon ist außerdem auch ein wirklich guter Tänzer, das hat auf Niklas abgefärbt.“
Heute, mit 25, tanzt Niklas in der Ich bin O.K.-Company und besucht vier Kurse in der Woche: HipHop, Modern, Breakin’ und Musical. Wenn eine Produktion mit der Company ansteht, kommen noch einmal eineinhalb, zwei Stunden Proben dazu.
Die Arbeit lohnt sich: „Es ist beeindruckend zu sehen, wie sie nach den Auftritten strahlen. Die Shows haben eine starke Wirkung auf die Persönlichkeit. Das Selbstwertgefühl steigt sichtbar.“
Trotzdem ist Sibylle Norden manchmal erstaunt, wie Niklas die Energie zu all dem aufbringt, immerhin hat er auch noch eine Arbeit – in der Gastronomie und im Facility Management am Wiener Badeschiff, fünf Stunden täglich. Der Anruf, ob er, nach einer Teilqualifikations-Ausbildung inklusive Praktikum, fest dort arbeiten will, kam an seinem Geburtstag.
Vor kurzem ist Niklas mit Simon und zwei anderen Freunden, die er von Ich bin O.K. kennt, in eine eigene WG gezogen. Sie leben dort zusammen mit vier jungen Menschen ohne Beeinträchtigung – und es klappt hervorragend. „Er fühlt sich richtig wohl dort“, erzählt Sibylle Norden: „Er ist heute insgesamt sehr selbstbestimmt und hat eine große Autonomie entwickelt. Er fährt alleine durch die Stadt, er verdient sein eigenes Geld, er hat auch eine Freundin. Eigentlich ist er ein sehr normaler, entspannter 25-Jähriger.“
Ohne Ich bin O.K., davon ist Sibylle Norden fest überzeugt, wäre das alles nicht möglich gewesen. „Über die Schule oder die Tagesstruktur hätte er nie so ins selbständige Leben finden können.“ Dabei haben Niklas’ Eltern von Anfang an einen inklusiven Weg eingeschlagen. Dann ist passiert, was immer noch zu oft passiert: Das große Aber trat in Niklas Leben. „Im Kindergarten waren alle sehr bemüht und lieb. Aber es hat nicht die Förderungen gegeben, die er gebraucht hätte. In der Volksschule hat er die Grundbegriffe des Schreibens und Lesens gelernt, und auch in der Hauptschule hat es eine Integrationsklasse gegeben. Aber die Sonderpädagogin dort hat sich keine Zeit für ihn genommen.“
Vor allem die zwei Jahre in der Hauptschule waren für Niklas und seine Eltern bedrückend. „Wir haben alles Mögliche versucht, um die Situation zu verbessern, aber es hat nichts geholfen. Also haben wir beschlossen, dass wir ihm das nicht mehr antun und ihn in die Sonderschule in Tulln geben. Und ich muss sagen, das war gar nicht so schlecht, er hat dort richtig viel gelernt.“
Trotzdem hätte Sibylle Norden nie damit gerechnet, was bei der Ausbildung zum Tanzassistenten passiert ist. Das in Kooperation mit dem Sozialministerium eingerichtete Projekt „Dance Assists“ soll Jugendlichen mit Lernschwierigkeiten die Möglichkeit eröffnen, professionell als Tanzassistenten tätig zu werden (die ersten Absolventen arbeiten schon in den Kleinkinderkursen). „Die Idee ist, dass Jugendliche bei Ich bin O.K. auch eine berufliche Perspektive bekommen sollen“, sagt Sibylle Norden. Dafür absolvieren die Kursteilnehmer eine theoretische und praktische Ausbildung, „und vor allem der Theoriekurs war schon ziemlich anspruchsvoll. Das waren dicke Mappen, die sie durchgearbeitet haben, mit Basiswissen über Anatomie, Tanzgeschichte und -theorie. Es war wirklich erstaunlich, wie gern Niklas dabei gelernt und wie viel er sich gemerkt hat. In der Schule ist etwas Vergleichbares nie vorgekommen. Es ist ihm einfach nie zugetraut worden.“
Zum gelungenen Leben gehören Selbstvertrauen und Eigenständigkeit. Dafür braucht es jemanden, der einem vertraut, dass man schafft, was man schaffen will. Ein Weg dorthin führt über die Goethegasse, dritter Hof. Ohne Aber.
Der Fotograf Philipp Horak und die Grafikerin Marion Mayr sind Eltern zweier „Ich bin O.K.“-TänzerInnen und wollen mit diesem Buch den Verein feiern. Sie haben Menschen, die „Ich bin O.K.“ angehören, porträtiert und einen Rückblick auf inspirierende und bewegende Jahre geschaffen.
Aus „Ein Buch über das andere Tanzen“ von Horak/Mayr
Der Fotograf Philipp Horak und die Grafikerin Marion Mayr sind Eltern zweier „Ich bin O.K.“-TänzerInnen und wollen mit diesem Buch den Verein feiern. Sie haben Menschen, die „Ich bin O.K.“ angehören, porträtiert und einen Rückblick auf inspirierende und bewegende Jahre geschaffen.
- Mit vielen Fotos von Philipp Horak
- Vorwort von Bundespräsident Alexander Van der Bellen
- Interview mit Gründerin Katalin Zanin
- Porträt des Vereins von Maria Dinold, Helga Neira Zugasty und Hana Zanin Pauknerová
- Porträts der Mitglieder Mathias Mehrwald, Niklas Kern, Clara Horvath & Mike Brozek
- Interview mit dem Tänzer, Tanzpädagogen und Choreographen Kirin España-Orozco
- „Ich bin O.K.“-Chronologie
Erhältlich um EUR 35,– über den Verlag Hollinek (zuzüglich Versandkosten).
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